Am 2. Juli fand im Plenarsaal der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die feierliche Universitätsfeier, Dies Academicus, der Ukrainischen Freien Universität in München statt. Der jährliche Zyklus der Feierlichkeiten Dies Academicus wurde 2022 aufgrund des barbarischen Krieges Russlands gegen die Ukraine unterbrochen. Trotz fast drei Jahren russischer großangelegter Aggression war die UFU schließlich verpflichtet, über ihre Tätigkeit zu berichten, Personen und Institutionen zu danken, die uns in diesen schwierigen Zeiten unterstützt haben, sowie herausragende Persönlichkeiten und ihre Leistungen mit Ehrendoktoraten auszuzeichnen.
Die Veranstaltung umfasste den Bericht der Rektorin Prof. Maria Pryshlak über die Tätigkeit der Universität für den Zeitraum 2022-2024 sowie die Verleihung der Ehrendoktorate an den ukrainischen Schriftsteller und Künstler Serhij Zhadan und den ehemaligen Landtagsabgeordneten, Altlandrat und Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen in Bayern Christian Knauer. Darüber hinaus wurde das 50-jährige Jubiläum der UFU-Stiftung in New York gewürdigt und ihr die Medaille für Verdienste um die Universität verliehen.
Rektorin der UFU Prof. Maria Pryshlak berichtete über die Arbeit der Universität seit 2022, wobei die Hauptherausforderung die Anpassung der Universitätsaktivitäten an die Kriegsrealitäten war, und konzentrierte sich dabei auf die akademischen, politischen und sozialen Projekte der UFU im Zusammenhang mit der russischen Invasion in der Ukraine und der Flüchtlingskrise.
Grußworte an die Universität übermittelten der ehemalige Staatssekretär Josef Zellmeier, MdL, und Stadtrat Fritz Roth im Namen des Münchener Oberbürgermeisters Dieter Reiter. Zu den zahlreichen Gästen gehörten der ehemalige Bayerische Wissenschaftsminister und ehemalige Vizepräsident des Landtags Dr. Wolfgang Heubisch, Vertreter des Konsularkorps, Partnerorganisationen der UFU sowie wissenschaftliche und diasporische Kreise.
Die Laudatio auf Serhij Zhadan hielt der Journalist der „Süddeutschen Zeitung“, ein einflussreicher Literaturkritiker Felix Stephan. Die Laudatio auf Christian Knauer hielt sein politischer Kollege Volkmar Halbleib.
Mit den Texten dieser Vorträge können Sie sich informieren.
Verehrte Dekanen, Professoren, Dozenten, liebe Studierende! Liebe Gäste, sehr geehrte Damen und Herren!
Am 20. Oktober 2021 feierte die Ukrainische Freie Universität den 100. Jahrestag ihrer Gründung. Die Covid-Pandemie war gerade abgeklungen, in der Luft herrschte eine Hoffnung, das Gefühl einer Rückkehr zu einem gewissen Maß an normalem Leben. Unsere Universität plante ihre Zukunft und bestimmte ihre Rolle in einer sich verändernden Welt. Am 24. Februar 2022 veränderte sich aber die Welt tatsächlich, abrupt und brutal, mit dem umfassenden und genozidalen Krieg Russlands gegen die Ukraine und das ukrainische Volk. Die Gestalt unserer Welt hat sich für immer verändert. Das Leben der Universität änderte sich ebenfalls radikal.
Unsere erste Aufgabe war die dringende Evakuierung von Studierenden und Lehrkräften aus den Kriegsgebieten in sichere Gebiete. Aufgrund der Covid-Pandemie befanden sich viele Studenten und Lehrkräfte in der Ukraine, als der Krieg ausbrach. Nach intensiven Tagen und Nächten der Arbeit fanden wir verschiedene Transportmöglichkeiten für die Studierenden und Lehrkräfte, die bereit und in der Lage waren, sich aus der Ukraine zu evakuieren.
In München entwickelte sich inzwischen eine Flüchtlingskrise. Unsere Universität war eine der ersten Einrichtungen, die Mütter mit Kindern aufnahm, die erschöpft, hungrig, unterdrückt und traumatisiert waren. Die gesamte Verwaltung und studentische Freiwillige empfingen sie, bereiteten ihnen Essen, spendeten Kleidung und halfen ihnen, Unterkünfte zu finden. Unsere Studierenden gingen zu den Bahnhöfen, empfingen die Ankommenden und leiteten sie zu den richtigen Registrierungs- und Betreuungsstellen.
Als Reaktion auf die schmerzhaften Erlebnisse der Schutzsuchenden gründeten unsere Studierenden der Psychologie und Pädagogik unter Aufsicht der Lehrkräfte das Zentrum „Grunt“, das bis heute tätig ist. Es konzentriert sich auf die Entwicklung von Kindern, den Abbau von Stress und Traumata bei Kindern und Müttern durch Gruppenaktivitäten und psychologische Beratung sowie Hilfe bei der Anpassung an die neue Realität. Im Laufe der Zeit hat das Zentrum seine Aktivitäten auf das Bücherlesen für Kinder in Münchener Bibliotheken, Fußballtraining für Jungen und Schachkurse ausgeweitet. Im Namen der Universität bedanke ich mich herzlich bei der Stadtverwaltung von München für die großzügige Finanzierung des Projekts im ersten Jahr sowie bei den Unternehmen MunichRe und InnoGIP GmbH und der Otto Eckart Stiftung für ihre Spenden.
Die Flüchtlingskrise gab den Anstoß zur Schaffung eines zweiten Studentenprojekts, des „Hilfezentrums“, das in den Bereichen Integration von Flüchtlingen in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt, emotionale Entlastung und psychologische Unterstützung, Schutz vor Hassverbrechen und Diskriminierung sowie Dokumentation von Kriegsverbrechen, die auf ukrainischem Territorium begangen wurden, tätig ist. Seit dem Frühjahr 2023 arbeitet das Projekt mit dem städtischen Jobcenter durch den Träger „InnoGIP GmbH“. Wir danken ihnen herzlich für die Zusammenarbeit sowie dem Migrationsbeirat München, insbesondere dem Mitglied Olga Dub, für die finanzielle Unterstützung öffentlicher Veranstaltungen im Rahmen der Tätigkeit des Zentrums.
Die humanitäre Krise in der Ukraine gab den Anstoß zu dem dritten Studentenprojekt namens „Rettungswagen“, das zum Ziel hatte, Spenden zu sammeln, um gebrauchte deutsche Krankenwagen zu kaufen und in die Frontgebiete der Ukraine zu liefern, um Verwundete zu evakuieren. Bis heute wurden über 30 Fahrzeuge, gefüllt mit Medikamenten im gesamten Wert von über 300.000 EUR in die Ukraine abtransportiert. Ich danke den Sponsoren des Projekts herzlich: dem Münchner Rotary Club, der Stiftung der Ukrainischen Freien Universität, dem United Ukrainian American Relief Committee, Inc., der Familie Kiy und einer ganzen Reihe privater deutscher Spender.
Um zusätzliche Mittel für die dringend notwendige humanitäre Hilfe in der Ukraine zu sammeln, hat die Ukrainische Freie Universität eine Reihe von Benefizkonzerten gesponsert, darunter ein Konzert im Herkulessaal zur Unterstützung der verwundeten Kinder im Krankenhaus Ohmatdyt in Kyjiw. Die Studierenden haben ihren eigenen Beitrag zusätzlich gemacht und zahlreiche eigene Wohltätigkeitsveranstaltungen organisiert.
Mit dem Ausbruch des Krieges stand die Universität vor großen Herausforderungen. Fast 550 neue Studierende haben sich bei uns beworben. Wir konnten nur die Hälfte von ihnen aufnehmen aufgrund verschiedener Beschränkungen. Dennoch hat sich die Anzahl der Studenten verdoppelt, darunter sind viele, die nicht in der Lage waren, ihre Studiengebühren zu bezahlen. Die Universität musste dringend zusätzliche Räume finden, das Kursangebot erweitern und die Anzahl der Dozenten erhöhen, all dies mit sehr begrenzten Mitteln. Wir standen vor der Herausforderung, ein hybrides Lernsystem für die Studierenden einzuführen, die außerhalb Münchens leben, also für Studierende in der Ukraine, die das Land nicht verlassen konnten, und für Schutzsuchende, die in verschiedenen Städten Deutschlands und Europas leben.
Zum Glück kamen mehrere Institutionen zu Hilfe. In Zusammenarbeit mit der Stadt München und bei persönlicher Mitwirkung Herrn Clemens Baumgärtner, haben die Firmen MunichRe und MEAG zusätzliche Unterrichtsräume und Büros in ihren Gebäuden zur Verfügung gestellt, wobei wir nur die Nebenkosten bezahlen mussten. Markus Blume, Staatsminister für Wissenschaft und Kunst in Bayern, stellte der Ukrainischen Freien Universität 100.000 Euro als Hilfe in der Kriegszeit zur Verfügung, eine Summe, die das Ministerium mit Unterstützung des Bayerischen Landtags über zwei Jahre hinweg wiederholte. Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge und die Firma Siemens spendeten Laptops an die Studenten, und Microsoft lud jedes Gerät kostenlos mit den entsprechenden Programmen auf. Der Herzog von Bayern spendete Mittel für den Kauf von Technologien, die für den hybriden Unterricht erforderlich waren. Die Stiftung der Ukrainischen Freien Universität in New York half, einen Teil der Studiengebühren für Flüchtlingsstudierenden zu decken. Wir sind allen für ihre Großzügigkeit zutiefst dankbar.
Trotz der schwierigen Umstände in den ersten Monaten des Krieges erfüllte die Ukrainische Freie Universität ihre Bildungsmission. Die Dozenten organisierten zusätzliche Unterrichtseinheiten, um den Studierenden in der Ukraine zu helfen, ihre Kurse abzuschließen. Einige dieser Studierenden hatten nur begrenzten Zugang zum Internet, befanden sich zum Teil in bombardierten Städten und versteckten sich in Schutzräumen. Die Dozenten gingen über die üblichen Arbeitsanforderungen hinaus, um die Verteidigung von Master- und Doktorarbeiten zu ermöglichen, oft außerhalb der normalen Zeitpläne. Dies zeigt uns, wie wichtig Bildung für unsere Studenten ist und wie sehr unsere Dozenten und Professoren bereit sind, ihre Studierenden zu unterstützen.
Angesichts der neuen Realität und der neuen Bedürfnisse hat die Ukrainische Freie Universität schnell mehrere Änderungen in ihrem Lehrplan vorgenommen. Der Krieg hat die Notwendigkeit nach qualifizierten Managern und Führungskräften verschärft, die den Reformprozess in der Ukraine im Rahmen der Vorbereitung auf den Beitritt zur Europäischen Union leiten können. Dieser Prozess wird von Tag zu Tag wichtiger. Die Universität hat ihre Kurse im Bereich Politik und Institutionen der Europäischen Union sowie im Bereich Management erweitert, ein neues Zertifikatsprogramm zum Studium der Europäischen Union gestartet und einen speziellen Kurs entwickelt, um die Studenten mit dem Beitrittsprozess der Ukraine zur EU vertraut zu machen.
Der Wiederaufbau der Ukraine hat eine dringende Bedeutung erlangt, und die Planung und Vorbereitung dafür haben bereits begonnen. Die Universität hat ein spezielles Zertifikatsprogramm für die Nachkriegsentwicklung entwickelt und den Studenten angeboten, an dem europäische, amerikanische und ukrainische Experten beteiligt sind. Die Absolventen dieses Programms, das zweisprachig ist und interkulturelle Erfahrung hat, können sowohl in ukrainischen als auch in deutschen Prozessen zur Wiederherstellung der Ukraine arbeiten.
Die schweren Menschenrechtsverletzungen und der offensichtliche Völkermord durch Russland haben die Universität veranlasst, ihr Programm im internationalen Recht zu erweitern, um Experten im Bereich Menschenrechte auszubilden, die in der Lage sind, Portfolios von Kriegsverbrechen zu erstellen und bei Gerichtsverfahren gegen Russland zu helfen. Derzeit arbeitet die Universität daran, Praktika für Studenten beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu organisieren. Wir haben besonderes Glück, dass Prof. Myroslava Antonovych, Dekanin der Fakultät für Recht und Sozialwissenschaften und Leiterin des Lehrstuhls für Recht, eine ehemalige ad-hoc-Richterin dieses Gerichts ist.
Der Krieg hat der ukrainischen Bevölkerung – insbesondere Kindern, Müttern, Soldaten und Veteranen – einen enormen psychologischen Schlag versetzt. Es gibt eine Explosion von schweren Traumatafällen sowohl hier als auch in der Ukraine. Die Universität hat einen speziellen 6-monatigen Kurs zur Psychotraumatologie vorbereitet, der praktische Komponenten wie Traumaerkennung, Krisenintervention und die Einführung effektiver Methoden zur Arbeit mit traumatisierten Personen umfasst. Unsere Dekanin der Philosophischen Fakultät und Leiterin des Lehrstuhls für Psychologie, Prof. Larysa Didkovska, die ein Mitglied des Europäischen Psychotherapieverbandes ist, war maßgeblich an der Entwicklung dieses und anderer spezieller Psychologieprogramme beteiligt, die auf die dringendsten Bedürfnisse reagieren.
In diesem Monat startet die Universität ihre Online-Bildungsplattform „Knowledge Academy“, die allen denen nützlich sein kann, die daran interessiert sind, ihre beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten zu verbessern oder mehr über die Ukraine, ihre Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur zu erfahren.
Als Antwort auf die Versuche Russlands, die ukrainische Geschichte und Kultur zu leugnen und die ukrainische Identität zu zerstören, hat die Ukrainische Freie Universität den Wadym-Kipa-Lehrstuhl für Kunstwissenschaften gegründet und erweitert. Der Lehrstuhl, unter der Leitung von Adelina Yefimenko, Professorin für Musikwissenschaft und einer Opernkritikerin, hat die zusätzliche Aufgabe übernommen, die deutsche Öffentlichkeit über die ukrainische Musikkultur durch Konzerte, Vorträge, spezielle Radiosendungen und Publikationen zu informieren. Die Universität hat Dutzende Konzerte gesponsert und das Projekt „Musik für das Leben“ entwickelt und umgesetzt, bei dem junge Studierende aus der Ukraine nach München kamen und sich mit deutschen Studenten der Hochschule für Musik und Theater zwecks Kulturaustausch zusammenschlossen, um Werke ukrainischer und deutscher Komponisten gemeinsam zu studieren und aufzuführen.
Zusammen mit der LMU veranstalten wir einen Musikabend zu Ehren von Solomija Kruschelnytska, eine herausragende Sopranistin die sogar Puccini bewundert hatte.
Die Universität hat auch verschiedene Kunst- und Fotoausstellungen gesponsert, darunter die Ausstellung „Immersive Welt von Taras Schewtschenko“, die in Zusammenarbeit mit der kanadischen Botschaft in Deutschland stattfand.
In Anerkennung der Rolle der Universität als Botschafterin der ukrainischen Kultur wurde ihr der spezielle Preis „The Worldwide Cultural Diplomacy Award“ sowie die Medaille „The World Order for Cultural Diplomacy“ vom Rat für internationale Kulturdiplomatie in den USA und dem Ausschuss für öffentliche Auszeichnungen in der Ukraine verliehen.
Während der Jahre des flächendeckenden Krieges hat sich die Universität dynamisch entwickelt – sie hat die Zahl ihrer Kurse und Dozenten erhöht. Gleichzeitig hat die Universität ihre Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen Universitäten erweitert und neue Partneruniversitäten wie die Universität Ulm, die Europa-Universität Viadrina, die Hochschule für Musik und Theater und die Munich Business School in ihr Netzwerk aufgenommen. Die Universität hat auch ihre Zusammenarbeit mit bestehenden Partnern wie der Ludwig-Maximilians-Universität und der Universität Regensburg ausgebaut. Besonders erwähnenswert ist die Zusammenarbeit mit dem „Europeum“ der Universität Regensburg im Rahmen des Projekts „Ukrainisch-Deutsche Tandems – Interkulturelle Studentendialoge“, das von der Bayerischen Staatskanzlei finanziert wird. Darüber hinaus ist die Universität Teil eines vom DAAD geförderten Konsortiums unter der Leitung der Universität Regensburg, das ein Zentrum für interdisziplinäre Ukrainestudien einrichten soll.
Mit jedem Kriegsjahr wurde die Rolle der Universität als Informationszentrum über die Ukraine und als Brücke des Verständnisses zwischen der Ukraine und Deutschland wichtiger. Die Universität organisierte drei Konferenzen und 22 bemerkenswerte Podiumsdiskussionen und Panels zum Thema Ukraine, mit Schwerpunkt auf Krieg, Völkermord, Menschenrechte, Integration und internationale Beziehungen – einige davon in Zusammenarbeit mit den Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Thomas-Dehler-Stiftung. Im Februar dieses Jahres war die Universität erstmals Mitorganisator und Teilnehmer eines Panels im Rahmen der Münchner Sicherheitskonferenz zum Thema „Europa als globaler Akteur mit gemeinsamen Interessen an einer freien Ukraine“. Unsere Partner waren das Europaparlamentsbüro in München und die Hanns-Seidel-Stiftung. Letztes Jahr nahm die Universität an der Ausstellung des Münchner Stadtmuseums mit dem Titel „München der Vertriebenen“ teil, die die Erfahrungen der Displaced Persons in der Nachkriegszeit beleuchtete. Ein besonderer Teil der Ausstellung widmete sich der Rolle der Universität bei der Ausbildung ukrainischer Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg.
Es wird deutlich, dass das Profil der Universität und die Anerkennung ihrer Aktivitäten in den letzten Jahren gestiegen sind, was sich in der Verleihung von zwei Auszeichnungen im Jahr 2023 im Landtag widerspiegelt:
- Der Wenzel-Jaksch-Preis für langjährige und bedeutende Beiträge zur Entwicklung der ukrainischen Wissenschaft und Kultur sowie für die Hilfe für Schutzsuchende.
- Die Auszeichnung „Brückenbauer“ der SPD-Fraktion für den Brückenbau des Verständnisses zwischen der Ukraine und Deutschland.
Dies wird auch durch folgende Errungenschaften bestätigt:
- Die Einladung des Rektors und der Vertreter der Universität durch die Präsidentin des Landtags Ilse Aigner als Gäste zu den Plenardiskussionen über die Ukraine im Landtag.
- Die Einladung des Bayerischen Staatsministeriums für Europaangelegenheiten und der Stadt München Partner bei den Europatagen 2023 und 2024 zu sein.
- Die Einladung für die Studierenden durch Verena Osgyan, Abgeordnete des Bayerischen Landtags, den Landtag zu besuchen und mit ihr über die Ukraine und die Bedürfnisse der Studierenden zu diskutieren.
- Die Einladung der Studierenden durch Sandra Bubendorfer-Licht, Abgeordnete des Bundestages, zu zwei viertägigen, voll finanzierten Reisen nach Berlin mit Besuchen im Bundestag und verschiedenen Bundesbehörden.
- Die Aufnahme der Studierenden der Universität in das Studierendenwerk – mit Zustimmung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst – was eine außergewöhnliche Ausnahme für uns als private Universität darstellt.
Wenn wir die letzten Jahre bewerten, wird es deutlich, dass die Universität viele der Ziele erreicht hat, die ich für die zukünftige Entwicklung festgelegt hatte, als ich zur Rektorin wurde, nämlich: eine stärkere Integration der Universität in die deutsche, insbesondere bayerische, akademische, politische, wirtschaftliche und kulturelle Welt; die Erweiterung der Bildungsprogramme; die Weiterentwicklung der Rolle der Universität als Botschafterin der ukrainischen Kultur; die Bereitstellung zusätzlicher Unterrichtsräume und Unterkünfte für Studierende sowie die Stärkung der finanziellen Basis der Universität. Leider bleibt das Problem der finanziellen Absicherung der Universität immer noch bestehen, insbesondere angesichts der steigenden Zahl von Studierenden, was eine Erweiterung des Kursangebots und der administrativen Unterstützung erfordert. Die Universität steht weiterhin vor der Herausforderung, zusätzliche und erschwingliche Unterrichtsräume zu finden. Die Vereinbarung mit der MEAG endet im Juli im Zusammenhang mit dem Verkauf des Gebäudes. Wir haben eine einjährige Vereinbarung mit der Hochschule für Philosophie über die Nutzung ihrer Räumlichkeiten getroffen, aber dies ist nur eine vorübergehende Lösung; wir brauchen aber eine klare langfristige Lösung. Zudem besteht weiterhin ein kritischer Mangel an Wohnraum in München, was es uns nicht ermöglicht, neue Studierende für den Präsenzunterricht aufzunehmen. Diese Probleme müssen in den nächsten zwei Jahren gelöst werden.
Wie Sie wissen, habe ich entschieden, mich nicht erneut auf den Rektorenwahlen zu kandidieren, und dies ist mein letzter Dies Academicus. Im Mai haben die Wahlen stattgefunden, und die Professorenkollegium wählte unsere Dekanin der Philosophischen Fakultät, die ich zuvor erwähnt habe, zur neuen Rektorin. Erlauben Sie mir, die neugewählte Rektorin, Prof. Larysa Didkowska, vorzustellen.
Meine Amtszeit als Rektorin dauert noch bis zum Monatsende in Juli, und ich gehe mit vollem Vertrauen in die neue Rektorin und ihre Fähigkeit, die Universität zu führen und ihre weitere Entwicklung zu bestimmen. Ich gehe auch mit dem Bewusstsein, dass wir eine unglaubliche Universitätsgemeinschaft haben, und Sie – unsere wunderbaren Freunde und Unterstützer – auf die sich die gewählte Rektorin verlassen kann und die bereit sind, ihre Unterstützung zu gewähren.
Ich bin Ihnen allen zutiefst dankbar für all die Jahre der wunderbaren und hervorragenden Zusammenarbeit.
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Laudatio für Serhij Zhadan. Verkündet am 2. Juli 2024 anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an Serhij Zhadan durch die Ukrainische Freie Universität München.
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Serhij Zhadan,
im Vorwort zu seinem Band „Warum ich nicht im Netz bin“, der teils dokumentarische Gedichte aus dem Krieg im Donbas versammelt, stellt Serhij Zhadan die Frage: „Was ändert der Krieg?“, und er antwortet sich selbst: „Er ändert das Vokabular. Er reaktiviert Wörter, die man bis dato nur aus historischen Romanen kannte. Vielleicht weil Krieg immer auch die Geschichte reaktiviert. Man kann sie sehen, schmecken, riechen.“ Meistens, so Zhadan, rieche sie verbrannt.
Von dem franco-karibischen Arzt und Autor Frantz Fanon stammt die Beobachtung, dass das Leben unter den Bedingungen der Kolonisierung beim Einzelnen zu einem permanenten Zustand der „Depersonalisierung“ führt. Die eigene Geschichte werde von einer Geschichte überschrieben, die der Kolonisator entwirft, die eigene Überlieferung werde unterdrückt, die eigene Sprache aus dem offiziellen Schriftverkehr des Landes entfernt. Man werde aufgefordert, die Perspektive des Kolonisators einzunehmen, die eigene Kultur für unfertig und roh zu halten, die Kultur des Kolonisators für überlegen und entwickelt. Man wird eingeladen, im Kulturraum des Kolonisators aufzugehen, und das schließt unter anderem ein, das Eigene für minderwertig zu halten und die Besatzung als Befreiung zu begrüßen. „Depersonalisierung“ bedeutet, sich selbst abhanden zu kommen.
Die Ukraine weiß sehr genau, wovon Fanon hier spricht. Seit der Regentschaft Katharina der Großen im 18. Jahrhundert werden die ukrainische Kultur und Sprache in ihrem eigenen Staatsgebiet systematisch an den Rand gedrängt und als Spielart des Russischen ausgegeben. Die Literatur wird als bäuerlich stigmatisiert, die Nationalgeschichte als Wahnvorstellung.
In Fanons Heimat, dem französischen Überseegebiet Martinique, wurde die Sklaverei im Jahr 1848 abgeschafft, aber anders als in Tahiti, wo der Sklavenaufstand unter Toussaint Louverture zum Ende der Sklaverei geführt hatte, wurde die Freiheit in Martinique nicht erkämpft, sondern von den französischen Kolonisatoren gewährt. Fanon hat das immer als Schmach empfunden, weil er glaubte, dass man echte Freiheit nur erlangt, wenn man durch den karthartischen, körperlichen Prozess des Kampfes gegangen ist, mit dem man sich eine Freiheit zu seinen eigenen Bedingungen erstreitet, und sie nicht entgegennimmt wie ein Almosen.
Die Ukraine führt diesen Kampf heute, obwohl sie ihn nicht gewollt hat. Bis zum Jahr 2014 war die Ukraine im Begriff, die Freiheit auf ihre eigene Weise zu erlangen. Nicht mit einem bewaffneten Aufstand, noch indem sie sich mit einer Freiheit unter Vorbehalt zufrieden gab, die ihr von einem Besatzer, der sich als Bruder ausgab, gewährt wurde. Innerhalb von drei Jahrzehnten hatte sich eine neue Literatur erhoben, ein neues öffentliches Bewusstsein entwickelt, eine neue Bürgergesellschaft, die den Fürsten schließlich aus dem Palast jagte. Und der Dichter, der der Freiheitsraserei der Perestroika nicht nur in der Ukraine, sondern über ganz Osteuropa hinaus, eine Sprache verlieh, war Serhij Zhadan.
„Was ändert der Krieg? Er ändert das Vokabular. Er reaktiviert Wörter, die man bis dato nur aus historischen Romanen kannte. Vielleicht weil Krieg immer auch die Geschichte reaktiviert. Man kann sie sehen, schmecken, riechen.“ Meistens, so Zhadan, rieche sie verbrannt.
Das Vokabular des Krieges sei ein „schwarzes Vokabular“, schreibt er weiter, es erweitere den Wortschatz um Dutzende neue Wörter, von denen jedes einzelne nichts anderes als Tod bedeute.
Die Themen und Motive, die Zhadan in seinen Gedichten aus dem Donbas beschreibt, münden zwei Jahre später in dem Roman „Internat“, dessen deutsche Übersetzung 2018 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde. Der etwas träge seinen Routinen nachgehende Protagonist findet sich darin eines Tages umtost von einem brutalen Krieg wieder, den er am liebsten an sich vorbeiziehen lassen würde, aber Passivität ist unter den Bedingungen dieses Krieges keine Möglichkeit, wenn man zufällig ein Mensch ist. Der Krieg sei wie Giftmüll, hat Zhadan geschrieben – er erreiche jeden, der in Flussnähe wohnt.
Und fast hat man den Eindruck, der Protagonist in „Internat“ wäre lieber kein Mensch, um sich in diesen Krieg nicht verwickeln zu müssen, aber er hat einen Neffen am anderen Ende der Stadt und er hat ein Herz, also rafft er sich auf, erhebt sich im doppelten Sinne – von der Couch und gegen den namenlosen Besatzer – macht sich auf den Weg durch das Kriegsgebiet, überwindet Verhaftungen, Nächte im Freien, Gefechte, um seinen Neffen aus dem Internat zu holen.
Wie eine Allegorie auf die Ukraine selbst findet er im Ausnahmezustand zu seinem Charakter. Er durchläuft eine Metamorphose, findet zu einem neuen Bewusstsein und einem neuen Selbstbild, und der Dichter, der dieses Bewusstsein eine neue Sprache findet, heißt Serhij Zhadan.
Wieder kann man an Fanon denken, den großen Stichwortgeber der nationalen Selbstbestimmung, und sein Diktum: „Die Gewalt ist es, mit der sich der Kolonialisierte seine Menschlichkeit zurückerobert.“ Auch bei Zhadan ließen sich Anhaltspunkte für dieses Axiom finden. Man läge weit daneben. In „Internat“ hat der Krieg kein Ziel, keinen höheren Sinn. Er ist eine sinnlose Raserei, ein Riss in der Zeit.
Zhadan ist kein Axiomatiker, kein Ideologe, und wenn er Aufrufe formuliert, dann geht es nicht um nationalgeschichtliche Großentwürfe, sondern um das Konkrete und akut Anliegende, darum, Medizin, Verbandszeug oder Generatoren in die Gebiete liefern zu lassen, in denen sie am meisten gebraucht werden. Zhadan teilt die Welt nicht in Schwarz und Weiß, das macht die Welt schon ganz von allein, der Dichter bezeugt diesen Zerfall als teilnehmender Beobachter.
Die Leser seiner Gedichte, seiner Romane und Tagebuchaufzeichnungen dürfen erleben, wie sich bei diesem Zerfall nicht nur die Sprache ändert, sondern auch die Gerüche und die Farben – sie sehen, wie die Welt selbst zerfällt. Wie Menschen, die sich eben noch friedlich in ihren Häusern befunden haben, sich auf einmal mit Handschellen gefesselt in improvisierten Kellergefängnissen wiederfinden. Wie Krankenhäuser auf einmal ohne Ärzte dastehen, weil diese über Nacht getürmt sind und die Patienten zurückgelassen haben. Wie Städte von der Landkarte verschwinden und es dort, wo eben noch eine Stadt gewesen ist, jetzt nur noch verbrannt riecht, nach dem Duft der Geschichte.
Sie sehen, wie die instrumentelle Sprache der Politiker, der Heeresleitung, der Wirtschaftsbosse mit der brennenden Welt zugrunde geht, wie sie zur Sprache der Propaganda und der Lüge wird. Sie sehen aber auch eine Sprache, die nicht funktional oder instrumentell ist, die Sprache der Literatur, die sich weigert, sich mit in den Abgrund reißen zu lassen. Diese Sprache findet im Chaos Momente dramaturgischer Ordnung, sie bändigt die sinnlose Gewalt in Rhythmus, sie kanalisiert das Entsetzliche in Texte, die auf eine bestürzende Art schön sind. Diese Sprache birgt das Menschliche und das Nahbare, in ihr überdauert das Wahrhaftige, sie lässt den Faden zum Fragilen und Zarten nicht abreißen. Auf diese Weise wird diese Sprache zum Symbol der Hoffnung und wir verdanken diese Sprache dem großen Dichter Serhij Zhadan.
Vielen Dank.
Dankesworte von Ehrensenator Christian Knauer anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Ukrainischen Freien Universität München im Plenarsaal der Akademie der Wissenschaften, Dienstag, 2. Juli 2024
Magnifizenz,
sehr geehrte Mitglieder und Gäste der Ukrainischen Freien Universität, liebe universitäre Gemeinschaft,
als ich am 24. April von Frau Rektorin Prof. Dr. Pryshlak per Brief die Nachricht erhielt, dass die Philosophische Fakultät der Ukrainischen Freien Universität München beschlossen habe, mir den akademischen Titel eines „Doktors ehrenhalber“ zu verleihen, war ich zunächst sprachlos. Die Begründung, die hierfür angeführt wurde, nämlich, dass damit mein „langjähriger Einsatz zur Überwindung der Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung und der für ein gemeinsames Europa in der kulturellen Vielfalt aller Völker und einzelnen Volksgruppen in einem friedlichen Miteinander und auf Augenhöhe“ anerkannt werden soll, hat mich gefreut, aber zugleich nachdenklich gemacht.
Dass mein jahrzehntelanges, weitgehend ehrenamtliches Engagement vom staatlichen Bereich nicht unbeobachtet blieb, durfte ich dankbar durch die Entgegennahme höchster Auszeichnungen durch die Bundesrepublik und den Freistaat bereits erfahren. Dass ich aber heute Abend von der einstigen Exiluniversität und der heute dringend notwendigen Bildungseinrichtung für die Bürgerinnen und Bürger, der seit über zwei Jahren durch einen andauernden Angriffskrieg geschundenen Ukraine mit einer akademischen Auszeichnung geehrt werde, zählt wohl zu den Höhepunkten in meinem Leben und zeigt mir, bei aller Bescheidenheit, dass ich offenkundig nicht alles falsch, sondern Vieles richtig gemacht habe.
Dass diese Auszeichnung mit meinem Geburtstag zusammenfällt, war mir eine willkommene Gelegenheit, Familie, enge Freunde und treue Weggefährten zu bitten, mir einfach ein wenig vom kostbaren Gut ihrer Lebenszeit zu schenken. Sie wussten bis vor wenigen Stunden nicht, was sich hinter dieser Bitte wirklich verbarg. Vielleicht dachte der eine oder andere, was ist denn das für eine seltsame Art, seinen 72igsten beim „dies academicus“ zu feiern. Nun ist das Geheimnis gelüftet. Liebe Familie, liebe Freunde und Weggefährten, mir war es einfach ein ganz persönliches Anliegen, dass Ihr mich heute Abend begleitet, weil Ihr mir wichtig seid. Also, ich bin glücklich, dass Ihr da seid.
Wohl kaum einer hätte 1952 daran geglaubt, dass ich als Flüchtlingskind, dessen Eltern und dessen Bruder sich mit einer weiteren dreiköpfigen Familie eine Vierzimmerwohnung mit gemeinsamer Toilette und einem Gemeinschaftsbad im eiskalten Keller teilen mussten, einmal an dieser Stelle stehen würde. Meine Eltern befanden sich in einer Situation, in der sich sicher – mit zunehmender Kriegsdauer – viele ukrainische Flüchtlinge befinden werden, nämlich vor die Frage gestellt: „Wie geht es mit uns weiter?“ Bleibt es dabei, dass es für uns kein Zurück mehr geben wird? Wo wird unsere Zukunft sein – in Bayern oder in unserer angestammten Heimat?
Diese Frage spielte in Deutschland bei den rund 15 Millionen Ostvertriebenen nach ihrer Flucht oder Vertreibung eine große Rolle. Besonders in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg prägten unterschiedliche Auffassungen die oft leidenschaftlich geführten Diskussionen, auch quer durch die betroffenen Familien. Bis zu den Ostverträgen Anfang der 1970er Jahre hofften meine Eltern beispielsweise auf eine Rückkehr nach Schlesien. Vergebens, wie sich später herausstellte.
Trotz aller Alltagssorgen, der zunehmenden Erkenntnis, dass die Eltern, insbesondere mein Vater als Soldat, durch den vom Nationalsozialismus vom Zaun gebrochenen 2. Weltkrieg um deren beste Jahre betrogen wurde, prägten mich in meinen Kindertagen wohl Dinge, die meinen Lebensweg maßgeblich beeinflussten. Durch die beengten Wohnverhältnisse und die bescheidenen familiären Einkünfte, lernte ich von meinen Eltern Ordnung zu halten, mit den vorhandenen Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen, eine begonnene Arbeit erst zu beenden, bevor man mit der nächsten beginnt und ohne große Aufforderung mitzuhelfen. Meiner lieben Mutter bin ich zutiefst dankbar, dass sie mich fest im Glauben verankert hat und Neid nie Platz in meinem Leben einnahm. Von meinem Vater, der mit nicht einmal 62 Jahren für mich viel zu früh verstarb, habe ich wohl genaues und konzentriertes Arbeiten, die Liebe zu Garten und Natur, aber vor allem dessen große Hilfsbereitschaft geerbt. Beide haben – mit all ihren Sonnen- und Schattenseiten – entscheidend und letztlich positiv zur Bildung meiner Persönlichkeit beigetragen. Dafür werde ich ihnen immer dankbar sein und ihnen meinen tiefsten Respekt zollen. Sehr geehrte Professoren, als Sie mich soeben ausgezeichnet haben, ehrten Sie somit posthum auch meine lieben Eltern.
Als ich im Mai 1993 mit dem Kulturpolitischen Ausschuss des Bayerischen Landtags unter Leitung der damaligen Vorsitzenden Karin Rademacher von den SPD Ihr Land besuchen durfte, befand sich dieses in einem turbulenten Umbruch. Plötzlich standen bei den politischen Gesprächen Themen auf der Tagesordnung, die in der alten Sowjetunion nur eine untergeordnete Rolle spielten: die Förderung des Deutschunterrichts, die Kooperation im Denkmalschutz, der Austausch von Theatern, Ausstellungen und Künstlergruppen.
Zu spüren war für aufmerksame Beobachter allerdings bereits damals die tiefe Sorge um die Bewahrung der territorialen Einheit der Ukraine. Dies war eines der wichtigsten Anliegen der politischen Elite des Landes. Die Furcht vor einem Bruch des Staates entlang der Ost-West-Trennlinie des Dnipro war ein wichtiges Motiv innenpolitischer Auseinandersetzungen bis zum Juni 1996, der Verabschiedung der Ukrainischen Verfassung.
Die weitere Entwicklung des Landes erinnert oftmals mehr an einen Kriminalroman. Korruption war über weite Strecken der Hemmschuh für eine gedeihliche Entwicklung. Aber mit dem „Großen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation“ im Mai 1997 erfolgte die explizite vorbehaltlose Anerkennung der territorialen Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen der Ukraine durch Russland. Zu erwähnen ist auch, dass zwei Jahre zuvor, gegen die Gewährung „internationaler Sicherheitsgarantien“ die Ukraine auf ihre Nuklearwaffen verzichtete.
Heute ist Krieg in der Ukraine. Viele Universitäten, vornehmlich im Osten des Landes sind zerstört. Hunderttausende von Ukrainerinnen und Ukrainern sind geflohen, viele davon auch nach Deutschland. Die Ukrainische Freie Universität in München bietet als einzige Hochschule außerhalb des vom Krieg geschüttelten Landes die Möglichkeit, in der Muttersprache zu studieren. Sie ist für viele Ihrer Landsleute die einzige Chance ihr Studium zu absolvieren oder ein solches aufzunehmen. Auch Soldaten in den Schützengräben nehmen derzeit über das Internet an Vorlesungen oder Lehrveranstaltungen in den Gefechtspausen teil.
Für Deutschland besteht dadurch die große Möglichkeit, abgesehen von humanitären Motiven, Brückenbauer für die Zeit nach dem Krieg auszubilden. Von ihnen wird nicht nur die Ukraine, sondern auch Deutschland während der Phase des Wiederaufbaus und auf allen Ebenen danach profitieren. Hier ist jeder Euro gut angelegt und ich hoffe, dass der Bund dem Beispiel des Freistaates folgt und die 1997 eingestellte Förderung wieder aufnehmen wird. Hier geht es nicht um Millionenbeträge, mit beispielsweise jeweils einigen hunderttausend Euro könnten die Studienplätze erweitert und die nötige Infrastruktur bereitgestellt werden.
Von daher sichere ich Ihnen zu, dass ich unsere Universität auch weiterhin mit Nachdruck auf allen politischen Ebenen im Rahmen meiner Möglichkeiten unterstützen werde.
Lassen Sie uns hier unseren beiden anwesenden Haushaltspolitikern, Josef Zellmeier und Volkmar Halbleib, danken. Sie haben dafür gesorgt, dass unsere Universität seit drei Jahren wieder finanziell durch den Bayerischen Staat gefördert wird. Dies ist nicht, und ich sage das ganz bewusst, auf die Initiative aus den Ministerien erfolgt, sondern durch den persönlichen Einsatz der beiden Parlamentarier. Dafür gilt Ihnen Dank und Anerkennung!
Dass heute der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Volkmar Halbleib, die Laudatio auf mich gehalten hat, war für mich eine ganz besondere Überraschung und große Freude. Durch unsere gemeinsamen Bemühungen im Vertriebenenbereich, Sie als Vertriebenenpolitischer Sprecher Ihrer Fraktion, ich als Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen, hat sich ein wirklich mehr als kollegiales Miteinander zwischen uns entwickelt. Vielleicht helfen uns aber auch unsere gemeinsamen schlesischen Wurzeln, dass wir einander vertrauen und Respekt vor der Arbeit des anderen zeigen. Danke für Ihre anerkennenden Worte – sind sie doch fast noch ein wenig mehr wert, denn sie kommen vom politischen Mitbewerber.
Danke auch dir, lieber Josef Zellmeier für dein Grußwort. Du bist seit vielen Jahren mein Stellvertreter im Amt des BdV-Landesvorsitzenden und begleitest meinen Einsatz und mein Wirken. Du genießt unser Vertrauen und du weißt, dass eine weitere Aufgabe auf dich wartet, wenn der Herrgott es so will.
Lassen Sie mich abschließend noch den ebenfalls heute ausgezeichneten Kulturschaffenden, Serhij Zhadan, grüßen. Lieber Doktor h.c., Sie haben lange als Schriftsteller mit Worten und als Musiker mit ihrer Band für die Sache ihres Landes gekämpft. Nun ist für Sie der Zeitpunkt gekommen, die Waffe in die Hand zu nehmen.
Die vorangegangenen Annullierungen der Konzerte begründeten Sie damit, dass Sie es satthätten, in Berlin oder London zu erklären, dass der Aggressor der Aggressor sei, der Okkupant der Okkupant und dass die Ukrainer ein Recht auf ihr eigenes Überleben hätten. Ihren Eintritt in den Militärdienst kündigten Sie mit den Worten an, es gebe heute keinen Unterschied mehr zwischen Künstlern und Nichtkünstlern. Es gebe nur noch ukrainische Bürger, die „Verantwortung für ihr Land“ übernähmen, und solche, die dieser Verantwortung auswichen.
Damit schließt sich der Kreis und wir sind wieder bei meinem Vater angelangt. Er und seine Generation wurden von den Nationalsozialisten betrogen und verheizt, die Soldaten der Russischen Föderation heute von einem kaltblütigen Diktator. Und die Frage stellt sich: „Wann lernt die Menschheit?“
Diktatoren, das ist meine feste Überzeugung, muss man am Anfang die Grenzen aufzeigen und ihnen nicht die Gelegenheit geben, Millionen von Menschen gegeneinander aufzubringen. Dies galt für Hitler und gilt für Putin. Hätte man vor zwei Jahren die entsprechende militärische Unterstützung an die Ukraine geleistet, hätten wir heute eine andere Situation.
Lieber Serhij Zhadan, auch ich gratuliere Ihnen zur heutigen Auszeichnung und wir alle haben eine Bitte: Passen Sie gut auf sich und Ihre Kameraden auf! Wir wünschen uns, dass Sie uns wieder als Künstler in Deutschland begegnen und dann uns nichts mehr erklären müssen!
Schließen möchte ich mit einem Zitat von Winston Churchill, das ich in meiner Rede vom 5. Mai 1999, anlässlich meiner Ernennung zum Ehrensenator, schon einmal angeführt habe und das nicht an Aktualität eingebüßt hat: „Wenn Europa einmal einträchtig sein gemeinsames Erbe verwalten würde, dann könnten seine drei- oder vierhundert Millionen Einwohner ein Glück, einen Wohlstand und einen Ruhm ohne Grenzen genießen!“
Deshalb appelliere ich an Sie alle: Lassen Sie unser Handeln künftig in noch viel stärkerem Maße diesem Ziel dienen. Jeder, an seinem Ort, jeder an seiner Stelle, jeder nach seinen Fähigkeiten, aber jeder aus ehrlichem Herzen und aus Verantwortung für uns alle!
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Für die musikalische Untermalung der Veranstaltung sorgte ein Streichduo unter der Leitung des berühmten ukrainischen Cellisten Oleksandr Piriyev.
Vielen Dank an alle Teilnehmer des Dies Academicus 2024!